Residuum

You are a Pope!

Peak Pop - Das Ende des Pop als Innovation

These

Popmusik wurde stark von technischer Innovation getrieben. Weil heute am Rechner alles möglich ist, findet keine Innovation mehr statt. Deshalb hat Pop seinen Höhepunkt überschritten und wird immer weniger relevant, sondern zitiert sich nur noch selbst und verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.

Begründung

Zunächst müssen einige Begriffe definiert werden:

Innovation:
Hier ist eine Neuerung gemeint, die vorher so noch nicht vorhanden war. Eine Innovation ist nur begrenzt eine Innovation. Deren Ende kann meist dadurch abgegrenzt werden, dass Musiker sich bewusst gegen die Verwendung der Innovation entscheiden.
Innovationshöhe:
Begriffskonstruktion analog zu Schöpfungshöhe im Urheberrecht. Musik hat eine relevante Innovationshöhe, wenn die Musik genauso ein Jahr (oder auch fünf Jahre) vorher klar als neuartig zu erkennen gewesen wäre.

1. Innovation durch Tonträger

Wer sich mit der Geschichte von Rock und Pop beschäftigt, stellt fest, dass der wesentliche Motor der Weiterentwicklung weniger Texte und Melodien waren, sondern die Klangfarben – der Sound.

Popmusik beginnt also mit der Erfindung der Tonkonserve – mit Edisons Wachszylinder und Berliners Grammophon.

Dass die Länge des Standard-Popsongs mit drei Minuten aus dieser Zeit stammt, ist fast schon Allgemeinwissen. Bei den Aufnahmen von Folk-Songs wurden dann nur drei von bis zu 20 Strophen aufgenommen. Dies kann dann dazu führen, dass manche Lieder dann textlich etwas anders gestaltet werden (I never will marry klingt in der Aufnahme der Carter Family nach einem Lied über unerfüllte lesbische Liebe)

Die Grammophon-Platten hatten jedoch das Problem, dass Aufnahmen von Bass-Trommeln die Nadeln springen ließen. Um dies Problem zu umgehen, wurden die tiefen Elemente des Rhythmus also nicht mit Trommeln erzeugt, sondern mit gezupften Kontrabässen – der Walking Bass war erfunden. Dieses Stilelement hält sich im Jazz bis heute, ein Einsatz dieses Element erfüllt jedoch nicht mehr das Kriterium der Innovationshöhe.

Durch die Ablösung des Trägermaterials Schellack durch PVC waren zum einen besser klingende Singles möglich, zum anderen aber auch Langspielplatten. Dies führte ab Anfang der 1960er Jahren zu Alben, die mehr waren als nur eine Ansammlung von Singles.

Ab Mitte der 1970er Jahre kam es im Punk zu einer bewussten Ablehnung des Albums als Kunstform und einer Rückbesinnung auf die Single, auch der gute Klang der 45er war nicht mehr relevant, somit hielt sich die Innovationshöhe von PVC als Material ca. 20 Jahre lang.

Die nächste Material-Erneuerung ergab sich ab 1980, als mit den CDs die ersten digitalen Tonträger auf den Markt kamen. Gleichzeitig kamen in den Studios digitale Aufnahmeverfahren und Musikinstrumente an. Dies ergab in einen neuen, digital klingenden Sound, der sich bis spätestens 1990 überholt hatte. Das hatte also eine Innovationshöhe, die für 10 Jahre ausreichte.

Als letzte Neuerung ergab sich die Verbreitung von Musik über das Internet, entweder als Download oder auf Streaming-Plattformen. Auch dadurch gab es eine Sound-Veränderung, weg von Aufnahmen mit einer großen Dynamik, hin zu möglichst laut klingenden Einzel-Tracks, beginnend ab ca. 2000. Ab ca. 2005 wurde das kritisiert, die Innovationshöhe blieb also ca. fünf Jahre erhalten.

2. Innovation in der Gitarrenmusik

Die frühen Verstärker von E-Gitarren waren nicht ausgereift. Dies lässt bei den Aufnahmen von Western-Swing-Platten oder R'n'B-Platten von Ike Turner die Gitarre extrem übersteuern. Als die Verstärker besser wurden, und die Musiker dennoch genauso wie vorher klingen wollten, wurden die ersten Gitarren-Effektgeräte erfunden – die Verzerrer.

Die Innovation der Verzerrer hat ein Musikgenre erfunden: Den Rock'n'Roll. Verzerrer behielten ihren Neuigkeitswert bis Mitte der 1960er Jahre, als Beat-Bands damit noch schocken konnten, also ca. 15 Jahre.

Später kamen noch weitere Effektgeräte ins Arsenal, Wah-Wah, Fuzz, etc, die meist in Kombination verwendet wurden. Auch gab es bessere Verstärker und Gitarrenlautsprecher, die auch einen eigenen Sound erzeugten. Dieses Phänomen zog sich ab Mitte der 1960er (Psychedelischer Rock) über den Bombast-Rock und Glam-Rock bis Mitte der 1970er hin.

Beendet wurde das Ganze durch Punk, der sich davon abgrenzte, indem all dies nicht mehr wichtig genug war, wir haben es hier also auch mit einer Zeit von ca. 15 Jahren zu tun.

Punk selbst hielt seine Innovationshöhe nur ganz kurz, von 1975 – 1977.

3. Innovation in der Synthesizermusik

Synthesizer wurden bereits in den 1920er Jahren erfunden, das Theremin war in den 1930er Jahren sogar eines der Hauptinstrumente für die Begleitung von Stummfilmen.

Dennoch dauerte es bis Mitte der 1970er Jahre, dass Synthesizer als eigenständige Klangerzeuger in der Popmusik verwendet wurden – bei den Beatles oder Beach Boys in den 1960ern waren sie noch Schmuckwerk für die aufwändig produzierten Alben.

Ein wichtiger Punkt war aber auch die Erfindung des Sequencers, durch den Melodien einmal eingestellt wurden und als Loop abgespielt werden konnten. Et voilà, Kraftwerk und Donna Summer. Daraus entwickelte sich Disco und House, letzteres als Genre, das sich bis Ende der 1990er Jahre noch innovativ entwickelt hat, als dann Subgenres wie Filter-House erfunden wurden, um dasselbe neu verkaufen zu können. Hier haben wir es mit einem Zyklus von 20 Jahren zu tun.

Viele von Punk gelangweilte Musiker nahmen dann Synthesizer in ihre Musik auf. Daraus entwickelte sich der Synth-Pop, dessen innovative Phase zwischen 1978 und 1983 lag – also fünf Jahre lang anhielt.

Zwischen 1980 und 1984 brachte die Firma Roland eine Reihe von relativ günstigen Drum- und Bass-Synthesizern auf den Markt: TR-808, TR-909 und TB-303. Speziell der Bass-Synthesizer TB-303 verkaufte sich sehr schlecht. Als einige Produzenten mit ihm herumspielten, entstand Acid, ein Stil, der sich von 1986 – 1991, also fünf Jahre lang halten konnte.

Der Sound der Drum-Synthesizer TR-808 und TR-909 waren die Basis für den frühen Techno-Sound von ca. 1987 – 1997, also ca. 10 Jahre lang, bis der Sound sich überholt hatte.

Als Sampler in den 1980er Jahren auf den Markt kamen, wurden sie zunächst von HipHop-Produzenten verwendet. Als sie dann in den 1990er Jahren immer raffinierter wurden, konnten die Produzenten damit auch mehr Dinge anstellen. Ein gesamtes Musikgenre wurde aus einem einzigen Sample generiert: Jungle bzw. später Drum'n'Bass. Die Innovation hielt fünf Jahre lang, von 1995 bis 2000.

Interessant war doch noch die sogenannte Intelligent Dance Music a la Aphex Twin, Autechre und Squarepusher. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass zum ersten Mal wirklich Musik am Computer erzeugt wurde. Hier hielt die Hochphase von ca. 1995 bis maximal 2005 an.

Seitdem hat sich die Computertechnik weiterentwickelt: Heutzutage ist es möglich, nahezu jeden erdenklichen Sound auf einfache Weise zu erzeugen und zu verwenden, jeder noch so ausgefeilte Sound von Aphex Twin taugt als Youtube-Tutorial mit 10 Minuten länge.

Dubstep basiert auf einer Innovation: Dem Wobble-Bass. Die Innovationshöhe ist ähnlich hoch wie bei Drum'n'Bass, somit war das Genre auch ähnlich lange interessant, ca. 5 Jahre, also 2002 – 2007.

Seitdem hat sich die Innovationshöhe noch weiter gesenkt, was sich daran ablesen lässt, dass die Genres immer kleiner werden, ich möchte fast von Micro-Genres sprechen. Vaporwave hielt sich nur 2012 über, dessen Innovationskraft war dann schon erschöpft.

4. Fazit

Je höher eine Innovation steht, desto länger schafft es sie, neue Musik zu erzeugen. Wenn eine Innovation darin besteht, eine bereits vorhandene Innovation weiter zu verfeinern, schafft es diese neue Innovation nur noch eine kürzere Zeit, neue Musik hervorzubringen.

Aufgrund der Kürze konnten nicht alle Aspekt der technischen Entwicklung behandelt werden, der Einfluss von Plattenspieler auf das DJing wurde hier z.B. komplett ausgeblendet, ebenso Metal.

Eine große technische Revolution der Musik wie durch Gitarreneffekte oder Sampler ist nicht zu erwarten, was man an der Häufung von Retro-Phänomenen in der Popmusik sieht.

Es kann aber auch daran liegen, dass ich ein alter Sack bin, und jetzt: Runter von meinem Rasen!

© Thomas Mayer 2014, Creative Commons cc by-sa 4.0

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